Erster Wahltag, erste Ergebnisse und erste Hindernisse

Gestern hat der Wahlmarathon zum EU-Parlament begonnen und zwar in Großbritannien und in den Niederlanden. Wie schon befürchtet, war die Wahlbeteiligung ziemlich niedrig.

Anders als eigentlich angedacht (das offizielle Wahlergebnisse werden erst Sonntag Abend nach dem Ende aller Wahlen bekannt gegeben), gibt es schon eine Vorabveröffentlichung der niederländischen Wahlergebnisse. Auch wenn noch ein paar wenige Gemeindeergebnisse fehlen, zeigt das vorläufige Ergebnis doch einen klaren Sieg für die EU-kritische Wilders-Partei „Partei für die Freiheit“, die mit 17% zweitstärkste Kraft, nach den Christdemokraten (CDA) mit ca. 20%, geworden ist.

In Großbritannien trudeln die Ergebnis wohl etwas langsamer ein. Es ist aber mit einem guten Abschneiden der Unabhängigkeitspartei UKIP (nach den Tories) und einem deutlichen Stimmeneinbruch für die Labour-Partei zu rechnen. Die UKIP beschwert sich indessen, weil die Stimmzettel gefaltet an die Wahlteilnehmer ausgehändigt worden seien und so ihre Partei (die sich mit einem „U“ am Anfang alphabetisch im unteren Bereich des Stimmzettels befindet) benachteiligt worden wäre. Tatsächlich soll es Wähler geben, die wegen den gefalteten Stimmzetteln nicht die UKIP wählen konnten, weil sie sie nicht auf den Zetteln gefnden haben. Inwieweit dies rechtliche Konsequenzen für die Gültigkeit des Wahlergebnisses hat, bleibt abzuwarten. Die UKIP bereitet jedenfalls eine Anfechtungsklage vor. Im schlimmsten Fall kann es zu einer Wiederholung der Wahl führen, was für die gesamte EU-Wahl desaströs wäre.

Insgesamt aber ein guter Start für die EU-kritischen Kräfte. Es bleibt aber abzuwarten, inwieweit sich dies in anderen Ländern bestätigt. Heute schauen wir gespannt nach Tschechien und nach Irland. Es wird sich u.a. in diesen beiden Ländern zeigen, ob die Libertas-Bewegung von Declan Ganley ihre Kräfte entfalten und ihr sehr hoch gestecktes Ziel von 106 Sitzen im EU-Parlament erreichen kann.

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Die Türkei-Frage und die Wahl

Neben die momentan aktuellen und brisanten Themen im Wahlkampf der EU-Wahl, wie die europäische Dimension der Finanzkrise, tritt nun auch wieder ein Thema, das schon seit langem die Gemüter erhitzt: Der EU-Beitritt der Türkei. Gerade von Seiten der Union wird einem solchen Beitritt gern eine klare Absage erteilt. So am Sonntag erst Bundesinnenminister Schäuble:

„Bei aller Freundschaft, bei aller Bedeutung der Türkei, die volle Mitgliedschaft würde die Chance einer politischen Union dramatisch gefährden, wenn nicht unmöglich machen. […] Es ist ein Stück Ehrlichkeit, im Wahlkampf zu sagen, dass die EU die Grenzen des europäischen Kontinents nicht überschreiten sollte.“

Oder auch zuvor Hans-Gert Pöttering:

„Es ist meine tiefe Überzeugung, dass es die Europäische Union politisch, kulturell, finanziell und geografisch überfordern würde, wenn sie die Türkei aufnähme“

Dabei ist es eine durchaus berechtigte Frage – wie jetzt von Martin Schulz MdEP (SPD) angestoßen -, warum die Union einerseits so vehement gegen eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU streitet, andererseits die fortschreitenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht verhindert, z.B. durch ein Veto Frau Merkels. Es ist einmal mehr eine Frage nach der Glaubwürdigkeit. Handelt es sich nur um einen schönen Hut, mit dem man sich – vor allem für die konservativen Stammwähler – schmückt oder lässt man den Worten konsequente Taten folgen? Es ist im Übrigen auch unehrlich gegenüber der Türkei, das gesamte Beitrittsprozedere nur aus Spaß an der Freude durchlaufen zu lassen. Über den Irrsinn von „Vorbeitrittshilfen“ an die Türkei, wurde auf diesem Blog schon hingewiesen. Eine klare Antwort von Frau Merkel, wie die von Geert Wilders („auch in 100.000 Jahren nicht“), wird man aber leider nicht hören.

Passend zur Thematik, stellte WELT ONLINE gestern eine sehr interessante Studie zum Verhältnis von Türken zur EU vor. Danach seien einerseits 57% für einen Beitritt zur EU, anderereits seien 81% der Meinung, dass es oberstes Ziel der EU sei, das Christentum zu verbreiten. PI-News titelte dazu sehr richtig: „Türken wollen in die EU, aber ohne Europäer“.

Die Qual der Wahl und wie man sie verkleinert

Wenn auch schon weit verbreitet und bekannt, auch hier noch mal der Hinweis auf die verschiedenen Möglichkeiten, mit denen man sich die Qual der Wahl etwas erleichtern kann:

  • Wahlomat (Vorteil: 29 der 32 Parteien sind vertreten, es findet also keine Vorauswahl statt, Nachteil: man kann seine eigene Position nur mit acht Parteien gleichzeitig vergleichen, weswegen man öfters hin und her wechseln muss, bis man sich mal mit allen relevanten Parteien verglichen hat.)
  • EU-Profiler (Vorteil: man kann die eigenen Positionen mit Parteien aus allen EU-Mitgliedsländern vergleichen; es besteht die Möglichkeit, seine Antworten zu speichern und später noch mal nachzuschlagen, ggf. zu verändern; Nachteil: Es sind leider nicht alle Parteien vertreten, die in Deutschland kandidieren („nur“ 10 dt. Parteien)
  • Vote Match Europe (Vorteil: eine andere Herangehensweise, indem man sich nicht mit den deutschen Parteien, sondern mit den Positionen der Fraktionen im EU-Parlament vergleichen kann, Nachteil: Es ist nicht nachvollziehbar, warum man die „Union für ein Europa der Nationen“ (UEN) nicht mit aufführt und damit eine willkürliche Vorauswahl trifft; außerdem ist die Übereinstimmung mit den europäischen Fraktionen nicht zwangsläufig ausschlaggebend für die Stimmabgabe im eigenen Land)

Deutsche Libertas kommt im März

Der deutsche Ableger der Libertas-Partei von Declan Ganley soll im März gegründet werden:

„Es geht jetzt Schlag auf Schlag. Die formale Parteigründung steht unmittelbar bevor, und am 2. März stellen wir uns öffentlich in Berlin vor“, sagte der umstrittene irische Geschäftsmann und Parteigründer Declan Ganley dem „Focus“. Ziel Ganleys ist eine paneuropäische Partei, die bei den kommenden Europawahlen im Juni in allen EU-Staaten antritt. Das Bündnis wendet sich gegen den EU-Reformvertrag von Lissabon und schreibt sich eine maßgebliche Beteiligung am Nein der Iren im Lissabon-Referendum zu.

Über Declan Ganleys Anliegen, die EU-Wahlen in ein Referendum über den Lissabon-Vertrag umzufunktioneren, wurde hier schon berichtet, ebenso über die EU-Rufmord-Kampagne gegen Libertas. Die Anerkennung von Libertas als Europäische Partei, die vor allem den Zugang zu finanziellen Mitteln ermöglicht hätte, wurde Anfang diesen Monats wegen zweifelhafter Unterschriften ersteinmal auf Eis gelegt (Gegendarstellung von Libertas mit Fotos der Unterschriften). Voraussetzung für eine Kandidatur in den EU-Mitgliedsstaaten ist dies aber keinesfalls.

Befremdlich wirkt allerdings die Tatsache, dass bis jetzt weder konkrete Namen für deutsche Libertaskandidaten im Umlauf sind (Interessante Vorschläge hatte André F. Lichtschlag auf ef-online Ende letzten Jahres gesammelt), noch, dass auf der Webseite der Libertas irgendwelche Informationen über die Kampagne in Deutschland vorhanden sind.

Mit einer offiziellen Parteigründung beginnt für Libertas jedoch erst die Arbeit in Deutschland, wie das Europawahlgesetz (EuWG) verdeutlicht [§9 (5)]:

Listen für einzelne Länder von Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen, die nicht im Europäischen Parlament, im Deutschen Bundestag oder einem Landtag seit deren letzter Wahl auf Grund eigener Wahlvorschläge im Wahlgebiet ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten sind, müssen außerdem von 1 vom Tausend der Wahlberechtigten des betreffenden Landes bei der letzten Wahl zum Europäischen Parlament, jedoch höchstens 2 000 Wahlberechtigten, persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein. Gemeinsame Listen für alle Länder von Wahlvorschlagsberechtigten im Sinne des Satzes 1 müssen außerdem von 4 000 Wahlberechtigten persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein. Die Wahlberechtigung muss im Zeitpunkt der Unterzeichnung gegeben sein und ist bei Einreichung des Wahlvorschlages nachzuweisen.

Libertas, die ja wahrscheinlich eine bundesweite Kandidatur anstrebt, benötigt daher 4 000 Unterschriften von Wahlberechtigten. Trotz der relativ kurzen Zeit zwischen Gründung und Wahl sollte es dennoch möglich sein, diese bürokratische Hürde zu nehmen.

Giscard: Erneutes irisches Referendum vor den EU-Wahlen

Der ehemalige französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing möchte, dass noch vor den EU-Wahlen im Juni ein zweites Referendum in Irland abgehalten wird:

Er sei dafür, das eigentlich für Oktober anvisierte Referendum auf April oder Mai vorzuziehen, sagte Giscard am Samstag der Zeitung „The Irish Times“. Ein irisches Referendum erst im Herbst könne während der Bildung der neuen EU-Kommission Verwirrung stiften, weil dann zu lange unklar sei, ob 17 oder 27 Kommissare zu ernennen seien, sagte Giscard.

Das Einzige, was Giscard offensichtlich verhindern möchte, ist die Gefahr, dass der Lissabon-Vertrag Hauptthema der kommenden EU-Wahlen wird und die Bürger das ihnen nicht gewährte Referendum über den Reformvertrag durch ihre Stimmabgabe bei den Wahlen nachholen. Viel besser wäre es ja, wenn alles schon in Sack und Tüten ist und die Bürger resignierend ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle oder eben gar nicht machen. Das irische Volk würde darüber hinaus im Überraschungsangriff das erwünschte Ergebnis ausspucken – die momentanen Umfragen passen ja ins Konzept – und der Widerstand wäre ohne Libertas im EU-Parlament geringer.

Dass solche Forderungen an der Realität vorbei gehen (allerfrühestens wird von einem erneuten Referendum im Herbst ausgegangen) und dass man mit einem erneuten Referendum generell das demokratische Prinzip unterminiert, stört die französischen EUrokratiker schon lange nicht mehr. Der Druck auf die irische Regierung während der französischen Ratspräsidentschaft war immens. Man denke nur an Sarkozys klare Worte: „Die Iren werden nochmals abstimmen müssen“. Glücklicherweise ist dies ja heute ein wenig anders und einer wie Giscard kann nicht mehr völlig ohne Hindernisse den Ausverkauf staatlicher Souveränität durch gefakte Referenden fordern. Den Tschechen sei Dank.

Bekommen wir doch unser Referendum?

Das zumindest ist die Idee von Declan Ganley, dem Hauptkoordinator der No-Kampagne im Vorfeld des irischen Referendums. Er möchte in ganz Europa mehr als 400 Kandidaten für die EU-Parlamentswahlen im kommenden Jahr ins Feld schicken, um so allen die Chance zu geben, Nein zum Lissabon-Vertrag zu sagen. Ein Referendum durch die Hintertür, so zu sagen. Anfangen möchte er mit Großbritannien und wenn möglich darüber hinaus. Dafür wird er seine Lobbyorganisation Libertas in eine Partei umfunktionieren:

„We will tell people that Libertas is the box you put your X in if you want to vote ‚No‘ to the Lisbon Treaty. It’s clear, it’s simple. The message will be: we are now giving you a referendum and it’s going to take place in June of next year at the European elections. People across Europe will have the chance to send the same resounding clear message that Brussels cannot continue with this treaty that the Irish people have rejected.“

Das Anliegen Ganleys ist mehr als nobel. An Mut und Willen wird es ihm zur Umsetzung nicht fehlen. Als problematisch wird sich jedoch die Tatsache erweisen, dass die Wahlmodi von Land zu Land unterschiedlich sind. Hier in Deutschland z.B. bedürfte es einer neuen Parteigründung, die in jedem Bundesland eine eigene Landesliste aufstellen müsste, wo sie antreten will. Einzelkandidaten sind nicht möglich.

Man kann nur hoffen, dass sein Engagement Früchte trägt. Leider ist nicht abzusehen, ob Ganleys Aktion auf dem Festland überhaupt eine Rolle spielen könnte. Aber es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn EU-skeptische Fragestellungen die Wahl im nächsten Jahr noch mehr prägen würden als bisher und es insbesondere dem britischen Premierminister Gordon Brown schmerzlich bewusst werden würde, dass man Politik nie gegen das erklärte Interesse der eigenen Bürger betreiben kann.